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Auch du kriegst den Job

Der Sommer 2013 war ein seltsamer Sommer. Die meiste Zeit war das Wetter schlecht, außer an zwei-drei Wochenenden, wo es plötzlich 40° hatte.

40° in Paris macht überhaupt keinen Spaß. Die stickige Luft bleibt an den Wolkenkratzern kleben und selbst nachts ist es noch so heiß in der Metro, dass man beinahe umkommt. Falls diese Metro nicht gerade irgendwo im tiefen Schwarz steckt, da jemand in einer davor vor Hitze einen Zusammenbruch erlitten hat und nun das ganze Netz lahm liegt.

In diesem verrückten Sommer arbeitete ich in einem Zentrum für Kinder. Genau, in diesem wo der Junge mit dem toten Alkoholiker-Vater untergebracht war (siehe „Die Kinder“.) Ich erinnere mich an einen dieser 40° -Tage, an denen wir die Kinder um 11h morgens aus dem Garten ins Gebäude treiben mussten, da die 40° schon eingetroffen waren.

Am selben Tag spazierten meine Kollegin und ich die 5 Minuten zum Bus, ohne ein Wort zu sagen, da wir so ausgelaugt waren, dass die Münder bei jedem Versuch sie aufzumachen einfach geradewegs wieder zuklappten.

Zum Abschied hatten wir in Zeitlupe gewunken.

In genau diesem Sommer eröffnete uns die Chefin des Zentrums eines sonnigen Tages, dass die Förderung des Krankenhauses gekürzt werden würde. Das hieß soviel wie das Zentrum könnte nur noch mittwochs, an den Wochenenden und in den Ferien aufsperren. Das hieß wiederum, dass wir außerhalb der Schulferien an die 500€ verdienen würden.

Die Chefin meinte sie könnte uns verstehen, wenn wir nicht bleiben wollten und so.

Eigentlich wollten wir schon alle bleiben, aber wir konnten eben nicht so wirklich. So hatte ich mir mehrere Babysitting - Agenturen gesucht, die allerdings ebenfalls sehr wenige Stunden und noch weniger Lohn anboten.

An einem dieser 40°-Tagen versteckte ich mich in meiner Wohnung vor der Hitze. Durch Zufall stieß ich auf eine Anzeige für eine Ausbildung bei einer bekannten Urlaubs-Residenz-Kette. Sie bräuchten dreisprachige Leute für die Rezeption. Das sei eine einjährige Ausbildung mit 9 Monaten Praktikum und theoretischen Kursen direkt an der Côte d’azur.

Natürlich interessierte mich das nicht wirklich – Leute empfangen und all das blabla, Schlüssel hergeben und irgendwas über die Region wissen müssen. Aber da ich die drei gefragten Sprachen fließend kann, hatte ich meinen Lebenslauf und die Bewerbung an einen gewissen Jerome, einen in Deutschland lebenden Franzosen geschickt. Außerdem hatte ich Lust mir endlich Südfrankreich anzusehen.

Den ganzen Sommer lang hatte ich auf die Mail dieses besagten Jeromes gewartet, seinen Anruf oder sonstiges. Keine Reaktion. Dann hatte ich begonnen ihn einmal pro Tag anzurufen, selbstverständlich vom Park aus, denn in dem Haus, in dem ich wohnte war es mit all den Assis und den ständigen Umbauarbeiten viel zu laut. Peinlich wäre das vor allem, wenn dieser Jerome einen der täglichen Streits mitbekommen würde.

Irgendwann Ende August war er dann endlich ans Telefon gegangen und hatte gemeint er würde sich meine Mail sofort anschauen.

Am nächsten Tag hatte ich dann die Einladung zu dem Bewerbungsgespräch in meinem Maileingang. Heute soll das stattfinden.

Was nun das Problem an der Sache ist? Also so ein richtig großes Problem gibt es nicht. Aber das kleine Problem an der Sache ist, dass die Verantwortlichen, zwei Französinnen, die nicht Deutsch können, wollen, dass alle deutschsprachigen Bewerber das Gespräch über Skype führen. Damit dieser Jerome auch dabei sein kann. Nicht nur, dass mich das leicht beleidigt hat, da ich ja wohl schon mehrere Bewerbungsgespräche auf Französisch geführt habe – das eigentliche Problem ist natürlich die Wohnung. Vor allem die Nachbarn. Vor allem die Hintergrundgeräusche der Nachbarn.

Ich weiß nicht wie oft du meinen Blog liest – also wie viel du von dem Treiben in dem verlausten Haus mitbekommen hast.

Vielleicht den herumschreienden Ex-Kindersoldaten, der zu gerne davon sprach das Haus abheizen zu wollen? Keine Sorge, der war in der letzten Zeit, bevor er ausgezogen ist ganz friedlich. Und jetzt wohnt er, wie gesagt nicht mehr hier.

Vielleicht erinnerst du dich auch an den Alkoholiker von unten? Dann weißt du bestimmt, dass er tot war, als wir ihn zum letzten Mal gesehen haben.

Dann war da noch meine Ex-Mitbewohnerin, die nie putzen wollte und deren Katze gerne auf meinen Kopfpolster gepinkelt hat. Das letzte was wir von der gehört hatten, war, dass sie mit blutender Schnauze reglos im Garten gefunden worden war. Ich spreche von der Katze. Die Ex-Mitbewohnerin selbst hat sich von irgendeinem Typen, der etwa das Alter ihres Vaters hat schwängern lassen und ist mit ihm fortgezogen.

Natürlich hatte sie zuvor den Ex-Kindersoldaten verdächtigt, da er gerne die Katze und seinen Suppentopf in einem Satz erwähnt hatte. Übrigens hat meine Ex-Mitbewohnerin mich finanziell über den Tisch gezogen, – also habe ich das Recht ihr gesamtes Leben in meinem Blog zu erzählen, ohne, dass das irgendwelche Persönlichkeitsrechte verletzt. Ich könnte sogar mit gutem Gewissen behaupten, dass sie einen fetten Arsch hat, aber das würde ich rein aus Anstand natürlich niemals tun.

Worauf ich eigentlich hinaus will, ist, dass die Leute, die mein Skype-Vorstellungsgespräch stören könnten, jetzt nur noch die Nachbarn von oben sind. Das ist ein Pärchen, das sich Tag ein Tag aus streitet. Er ist eigentlich ein ganz normaler Typ, arbeitet und ist sehr nett, wirkt zumindest so. Sie ist an die zehn Jahre älter als er (was ich natürlich nicht verurteilen will, ich möchte nur, dass du dir das Pärchen genau so vorstellst, wie es auch ist), hat braune Kringellöckchen und ist ziemlich klein. Dafür hat sie eine ganz, ganz große Klappe und beschimpft ständig irgendwelche Leute, um sich dann vor ihnen zu verstecken. Ich habe überlegt, ob ihre Meinungsschwankungen von dem vielen Kiffen kommen könnten, bin aber noch nicht ganz sicher. Auf alle Fälle wirft die mit Worten um sich, bei denen selbst Booba sich die Ohren auswaschen würde.

Heute, an diesem sonnigen Septembertag, soll das streitsüchtige Pärchen ausziehen, während ich ein lebenswichtiges Vorstellungsgespräch habe.

Was noch zu erwähnen ist, ist, dass sie auch im Streit mit dem Vermieter sind; das ist ein hochrangiger Polizist, der sich aufgrund seines Jobs einbildet er könnte sich alles erlauben.

Leute zu hintergehen, finanziell abzuziehen und zu erniedrigen. Mehrere Bewohner des Hauses hatten sich sogar die Frage gestellt, ob er nicht vielleicht Schuld am Tod des Alkoholikers gewesen wäre, hatte er ihm doch einige Tage zuvor anvertraut, dass dieser ein „Nichts“ und „eine Scheisse“ sei. Aber wie gesagt, der Vermieter ist ein hochrangiger Polizist und außerdem beweisen seine Worte so rein gar nichts.

Aber jetzt zurück zu meinem Bewerbungsgespräch. Es beginnt um 13H. Es ist 12.30H, ich trage ein schwarz-weißes Kleid, das meiner Meinung nach rezeptionistisch aussieht und sitze bereits vor meinem Computer. Das Kleid stellst du dir bestimmt gerade gar nicht so vor, wie es wirklich ist. Es ist oben weiß, also sieht es aus, als wäre es ein ärmelloses Hemd. Es hat auch einen richtigen Hemdkragen. Der Unterteil ist schwarz, eher weit und geht bis direkt über die Knie. Wahrscheinlich bekommen die hinter der Kamera auch gar nichts vom Unterteil mit, da ich logischerweise auf meiner Couch sitzen werde. Bereits sitze.

Ockerfarben ist diese. Ich hab sie mir nicht ausgesucht, sondern die vorherigen Bewohner unserer Wohnung haben sie hier gelassen. Erst wollten wir sie wegwerfen, da sie nicht besonders ansehnlich ist (da ockerfarben), doch setzt man sich einmal auf dieses kuschelweiche etwas, verwirft man den Wegwerf-Gedanken ganz schnell.

Nervös kaue ich auf meinen Fingernägeln. Das mache ich normalerweise nie. Ja, natürlich, die Fragen eines Vorstellungsgesprächs sind alle vorhersehbar. Du musst dir einfach nur genau überlegen was du antwortest. Und um den Job dann auch wirklich zu bekommen, musst du zu hundert Prozent davon überzeugt sein, dass sie dich brauchen. SIE brauchen dich, du kannst ganz gut ohne sie. So einfach gesagt und gar nicht so leicht getan. Wie so vieles.

Das einzige was theoretisch bei dem Gespräch noch schiefgehen kann ist… sind… die Nachbarn.

Die kleine Nachbarin trampelt wie ein Elefant die Treppen hoch. „Am Arsch lecken kann er mich der Scheisskerl, ich mach überhaupt nix von der Wand ab!“, schreit sie. Oh nein, es beginnt.

Diese, beinahe vierzigjährige Frau hat in einem Wutanfall „Fuck you“ mit einem Permanentmarker auf ihre Wohnzimmerwand geschrieben.

Das heißt sie zu bitten leiser zu sein würde wohl nicht viel nützen.

Ach ja, übrigens, sie arbeitet auch mit Kindern.

„Könnten wir das Gespräch etwas vorziehen?“, schreibt da Jerome in Skype.

„Verdammter arschgeficker…“, schreit die Nachbarin. Entschuldigung, dass ich solche Sachen schreibe, aber sie hat es eben gesagt und man muss schließlich realitätsnah bleiben.

„Natürlich, kein Problem.“, antworte ich.

Der Vermieter versucht die Nachbarin zu beruhigen. Auf Skype beginnt es zu klingeln. Ein Elefant trampelt die Treppen nach unten oder oben, irgendwo hin auf alle Fälle. Eine schrille Stimme schreit wieder, dass ihr irgendetwas scheissegal ist.

Ich räuspere mich und beantworte den Anruf. Was ich machen werde, falls sie wieder zu schreien beginnt? Ich habe keinen blassen Schimmer. Vielleicht vortäuschen, dass die Verbindung abbricht.

Vor mir tauchen drei Personen in einer Halle mit sehr hoher Decke auf. Es sind zwei Frauen, eine stärker und an die fünfzig, mit einem rötlichen Kurzhaarschnitt. Die andere ist etwas schlanker und in meinem Alter. Die dritte Person ist Jerome, der sofort anfängt Witze zu machen, um die Stimmung zu lockern.

Der Ort ist eine schlechte Wahl, denn ihre Stimmen hallen wider, so dass ich sie beinahe nicht verstehen kann.

Aus Reflex wäre ich beinahe aufgestanden, um ihnen die Hand zu reichen.

Wie erwartet stellen sie mir die Standartfragen. Ich antworte in etwa so, wie ich es mir vorgenommen hatte. Manchmal ein bisschen schlechter, manchmal ein bisschen besser.

1.: „Warum interessieren Sie sich für diesen Beruf?“ Ich erzähle irgendetwas von Kontaktfreudigkeit. (Einer meiner besten Freunde behauptet gerne ich sei eine asoziale Einsiedlerin.)

2.: „Warum wollen Sie genau für uns arbeiten?“ Ich schleime ein wenig dahin, sie seien so renommiert, in ganz Europa. (Da ich bis jetzt nichts mit Tourismus am Hut hatte, musste ich sie natürlich erst einmal googeln.)

3.: „Ihre Stärken?“ Ich sage, dass ich mich gut in andere Menschen hineinfühlen kann, was zur Abwechslung so richtig stimmt. Außerdem finde ich, dass das eine wichtige Eigenschaft für alle Berufe im direkten Kontakt mit Kunden ist UND jedem Gockel fällt das gar nicht sofort ein. Stolz lächle ich über meine wunderbare Antwort. Den anderen scheint sie auch besonders gut zu gefallen.

4.: „Ihre Schwächen?“ Da habe ich besonders lange nachgedacht, denn bei den Schwächen muss man natürlich irgendetwas sagen, das der Arbeitgeber gleich als Stärke hindrehen kann. Also behaupte ich so was wie übergenau zu sein, perfektionistisch. Stimmt auch manchmal, kommt aber natürlich auf die Situation an.

5: „Was möchten Sie in zehn Jahren tun?“ Keinen blassen Schimmer. Reisen, tanzen, schreiben. Vielleicht reich sein? „Ich sehe mich als Rezeptionschefin.“

6: „Warum passen genau Sie für diesen Posten?“ Weil genau ich nach Südfrankreich will, am Strand liegen und bräunen. Sehen Sie denn nicht wie blass ich bin? „In Ihrer Abzeige suchen Sie nach jemandem, der…“ Die drei Sprachen, belastungsfähig, kontaktfreudig. Eigentlich ist ein Bewerbungsgespräch wie eine Theatervorstellung.

Dann kommen natürlich noch einige unerwartete Fragen, zum Beispiel zu meinem Werdegang. Warum ich mein Anglistikstudium nicht zu Ende geführt habe. „Es war einfach total uninteressant und seltsamerweise hat das außer mir niemand bemerkt“ verwandelt sich in „Es ähnelte zu sehr dem Schulleben und ich fühlte mich schon bereit für die Arbeitswelt, hatte außerdem Lust auf eigenen Beinen zu stehen, da ich sehr autonom bin.“

Nach den ersten paar Sätzen ist meine Nervosität verflogen. Natürlich besteht weiterhin die Angst vor Nebengeräuschen. Doch zu meiner Erleichterung hört man die Nachbarin nur einmal kurz schreien. Das bringt mich natürlich leicht aus dem Konzept, aber Jerome macht einen Witz daraus.

Während er sich um die gute Stimmung kümmert, stellt die ältere Frau die Fragen. Die jüngere sagt kein Wort und ist auf ihr Handy vertieft. Außerdem kaut sie Kaugummi wie eine Kuh ihr Grasbüschel. Herzlichst egal ist mir diese Unhöflichkeit.

Nach fünfzehn Minuten wünschen wir uns alle einen schönen Tag und verabschieden uns. Als ich auf den roten Knopf drücke, bin ich zwar immer noch leicht nervös, aber im Grunde weiß ich ja doch, dass sie mich brauchen und ich ganz gut ohne sie kann. Ach, ich kann mir doch wirklich jeden Schwachsinn einreden.

(„Auch du kriegst den Job“- Seminare gebe ich ab jetzt jeden Mittwoch in der Mehrzweckhalle des gemeinnützigen Eisschützenvereins von Botswana)


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