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Die Neue

Die Neue

Für Leute meiner Generation ist es wohl üblich oft den Job zu wechseln. Ob das gut, schlecht, abwechslungsreich ist oder uns Sicherheit nimmt und anderen Kontrolle gibt, sei dahin gestellt. Fakt ist, ich habe es schon oft getan. In all diesen Jobs lernen wir nun Menschen kennen, die wir entweder mögen oder nicht. Vielleicht auch solche, die uns egal sind. Auf alle Fälle aber bereichern diese Leute unser Leben auf ihre Art und Weise, genau wie wir selbst das ihre bereichern. Ich denke, dass mir letzteres vor einigen Jahren ziemlich gut gelungen ist. Diese Geschichte erzähle ich euch heute.

Sie trug sich während meiner Anfangszeit in Paris zu. Natürlich hatte ich, wie die meisten anderen auch, bei der Arbeit meine Lieblingskolleginnen, mit denen ich auch in der Freizeit Unternehmungen startete. Gleichzeitig bemühte ich mich immer Neuankömmlinge gut zu integrieren. Da ich bei den Chefs als geduldig und diplomatisch galt, lag es meist an mir die Neuen einzuschulen. Das machte mir grundsätzlich Spaß. Außerdem konnte ich so eine Weile lang Smalltalk führen, anstatt mich gleich morgens mit unzufriedenen Kunden herumzuschlagen.

Eines Tages kam nun wieder eine neue Mitarbeiterin an. Eine Deutsche, etwa im Alter meiner Mutter. Sie war so ganz anders als wir. Das fing bei ihrer Wortwahl an, ging über ihren Musikgeschmack und endete bei ihren Hobbies. Unsere Gemeinsamkeit war, dass wir beide mutterseelenallein nach Frankreich gekommen waren. Sie um Arbeit zu finden – ich auf der Suche nach... Abenteuer, dem Sinn, dem Leben – was auch immer, zu der Zeit wusste ich es selbst nicht so genau. Was ich weiß ist, dass sie mich dafür bewunderte, das getan zu haben – in meinem Alter. Vielleicht bewunderte ich sie noch mehr dafür, dass sie gleich gehandelt hatte – in ihrem.

Eines Tages beschlossen mein Freund und ich zusammen zu ziehen. Wie üblich stießen wir auf eines dieser Vorstadthäuser: Uralt, in schlechtem Zustand, überbevölkert. Die Nachbarschaft bestand fast nur aus Nicht-Franzosen. Abgesehen von mir zählten dazu ein Afrikaner, mehrere Brasilianer und zwei Portugiesen. Das war ein sehr gastfreundliche Partie. Dementsprechend erfreut reagierten sie auch, als ich ihnen ankündigte, dass ich eine Einweihungsparty machen würde. Die meisten Räume waren mehr als nur renovierungsbedürftig. Unter anderem gab es einen uralten, mit fast genauso altem Fett verkrusteten Herd, der sich in der Gemeinschaftsküche befand. Deren rot-weiße Bodenfliesen waren mit der Zeit schwarz geworden. Die meisten Bewohner hatten in ihrer Wohnung eine eigene Küche oder zumindest eine Kochplatte. Die Gemeinschaftsküche wurde aber trotzdem hin und wieder von dem einen oder anderen benutzt, der danach meist darauf vergaß sie zu putzen. Darüber, ob das einen Unterschied zwischen dem vorher und nachher machte, könnte man streiten.

Besagte Küche sollte während der Party hauptsächlich als Stauraum dienen. Ich hatte nämlich vor eine Gartenparty zu machen. Der Garten war das einzig positive an der Bruchbude, in der wir gelandet waren. Kurz vor dem großen Tag wurde dieser allerdings von einem gewaltigen Regenschauer heimgesucht. Ein Plan B musste her. Der einzig mögliche Ausweichort war die Gemeinschaftsküche. Ich hatte nämlich so gut wie all meine Bekannten eingeladen und keine Lust diese in unsere 20 oder 30m2 Wohnung zu quetschen. Unter den Gästen waren auch einige meiner Kolleginnen. Zum Beispiel die Neue. Vor allem, um ihr zu helfen sich zu integrieren und weil sie, auf ihre Art doch sehr nett zu sein schien.

Als ich das meinen Freundinnen erzählte, fing ich mir jedoch überraschte Seitenblicke ein. "Was die? Was soll denn die in deinem Multi-Kulti-Haus?", fragte eine von ihnen. Ich zuckte mit den Schultern. "Na ja, mit uns reden halt, wie die anderen Leute auch. Ist doch wurscht, dass sie älter ist als wir...." - "Das mein ich nicht. In deinem Haus sind ja voll viele Afrikaner." - "Ja und? Sie ist ja auch keine Französin." - "Hast du nicht mitbekommen, dass die oft so rassistische Anspielungen macht?" Ich blickte erstaunt aus der Wäsche. "Überhaupt nicht. Vor mir hat sie sowas noch nie gemacht." - "Na ja, jetzt ist's sowieso schon zu spät... Ausladen kannst du sie ja auch nicht mehr. Und was soll schon passieren?" Ich nickte. "Genau." Was sollte schon passieren?

Was passierte war, dass es am Tag der Party noch genau so stark regnete, wie an dem davor. Die Gäste kamen trotzdem zahlreich. Mit ein bisschen Fantasie verwandelte sich der Gasherd in einen Griller. Einer unserer Nachbarn, ein nigerianischer Musiker, war so erfreut über die Party, dass er für alle Reis und Sauce kochte. Abgesehen davon gab es bereits eine Menge schmackhafter Mitbringsel. Die Gemeinschaftsküche hatte ich am Vortag noch einmal gründlich durchgeputzt. Man merkte einen kleinen Unterschied - von Sauberkeit konnte aber leider immer noch nicht die Rede sein. Doch der Dreck am Boden hielt die Gäste nicht davon ab, bis zur späten Stunde auf diesem zu tanzen. Sie unterhielten sich gut. Die Zeit verging wie im Flug – plötzlich mussten auch schon alle so schnell wie möglich weg, um den letzten RER zu erwischen.

Und die Neue? Die unterhielt sich prächtig mit dem nigerianischen Musiker. Dieser war in etwa in ihrem Alter und konnte außerdem Deutsch, was ein besonderer Pluspunkt war. Außerdem bemutterte er sie nicht nur mit Reis und Sauce, sondern beglückte sie nebenbei noch mit charmanten Kommentaren und Witzen. Fehl am Platz wirkte die Neue ganz und gar nicht – eher noch, als wäre sie genau da, wo sie hingehörte.

Einige Tage nach der Party kündigte sie. Vielleicht wurde sie auch gefeuert, was auf meiner damaligen Arbeit sehr oft vorkam. Nachdem ich seit einigen Wochen nichts von ihr gehört hatte, rief ich sie an. "Weißt du, ich hab einen kennengelernt.", erzählte sie mir ohne großartige Einleitung. Ich unterließ es zu antworten und wartete auf weitere Ausführungen. "Einen Mann in meinem Alter. Er ist so charmant und zuvorkommend! Außerdem ruft er mich oft an.", schwärmte sie. "Und weißt du wie er mich nennt? Ma chérie! Ist das nicht süß?" Da wir schließlich in Frankreich waren, empfand ich letzteres eher als normal. Aufgrund ihres Enthusiasmus bestätigte ich ihr allerdings, dass es unglaublich süß wäre jemanden "ma chérie" zu nennen. "Außerdem sagt er mir, dass ich schön bin. Weißt du wie lange ich das nicht mehr gehört hab? T'es belle, sagt er." - "Cool ist das. Ich freu mich für dich." - "Aber weißt du was?" - "Was?" - "Er ist ein Araber." - "Okay.", meinte ich in neutraler Tonlage. Anstatt weiterzusprechen, wartete ich darauf, dass sie fortfahren würde. Wegen dem was meine Freundinnen über sie gesagt hatten, vor allem. Kurz schwieg sie. Bestimmt suchte sie nach den richtigen Worten. "Na ja, ich... ich hab halt nie gedacht, dass ich... dass ich mit so einem zusammen sein könnte.", kam es dann zögerlich von der anderen Leitung. "Und jetzt?", bohrte ich nach. "Na ja, jetzt... jetzt bin ichs trotzdem. Und jetzt denk ich mir... vielleicht sind die gar nicht so... so komisch... so anders... Weißt du, eigentlich sind die sogar wie wir."


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