top of page

Der kleine, grüne Koffer auf Reisen, Teil 2

Ich packe in meinen kleinen, grünen Koffer… ein Rückflugticket. So eins mit ziemlich miesen Konditionen, eins der billigeren – wo man erst um die halbe Welt fliegen muss, nur um ein Nachbarland zu überspringen. Das Datum kann man natürlich ändern - was den Preis eh nur verdreifacht. Also ein wirkliches Schnäppchen, dieses Ticket, das ich sogar selbst ausdrucken darf. Um frühmorgens Zeit zu sparen, entschließe ich mich für den Online-Check-in am Vortag. Das kann ich wirklich empfehlen – wahrscheinlich bin ich ohnehin die einzige in den Weiten des Internets, die ihre Reisen nicht schon seit Jahren so handhabt - ungefähr so wie die Geschichte mit diesem What’s Up, wo mich jede Woche drei meiner Freunde fragen, ob ich das denn endlich am Handy hätte, welches übrigens weder Fotos speichert (es macht Fotos, es speichert sie nur nicht), noch Internet-Anschluss besitzt. Doch nun zurück zum Hauptprotagonisten dieses Blogeintrages, nämlich dem kleinen, grünen Koffer, mit dem ich aufgrund des praktischen Online-Check-Ins direkt zum Boarding spazieren kann. So ganz ohne Warten, auf viel zu harten Stühlen, gegenüber von verschlafenen Menschen, in denen sich mein Gesicht spiegelt. Ganz ohne mir die Frage zu stellen, ob ich vielleicht doch ungefähr hundert Euro für ein 20ml-Automaten-Getränk ausgeben soll, weil mir die Zunge am Gaumen klebt. Oder mir die Frage zu stellen, ob es eine gute Idee sei zum fünften Mal auf das, mit Schamhaaren dekorierte Klo zu gehen, um die Zeit etwas schneller verstreichen zu lassen. Einfach nur online einchecken und über einen roten Teppich zum Boarding stolzieren. Ein Traum ist das. Ich packe in meinen kleinen, grünen Koffer… meine neue Vorliebe für die niederländische Mentalität. Am Flughafen von Amsterdam lächeln mich die Menschen, deren Augen zufällig die meinen treffen, an – ganz anders als in den meisten anderen Ländern, wo Blicke schneller zu Boden sausen, als dass man ihnen begegnen könnte. Da ich der Kaffee-Verkäuferin unabsichtlich etwa um die Hälfte zu wenig Geld in die perfekt manikürte Hand drücke, entschuldige ich mich verwirrt und erwähne kurz meine Müdigkeit. Wie die anderen, lächelt sie, was in diesem Fall natürlich schlicht und einfach zum Beruf gehört. Kaffee. Nicht zu stark und mit ganz viel Milch, Zucker, damit nicht bitter. Viel zu früh ist es, für eine Spät-Aufsteherin wie mich. Die Leute um mich gehen zu schnell, erinnern mich fast ein wenig an die Metro-Boulot-Dodo-Menschen aus der Pariser U-Bahn. So lass ich mein Hinterteil auf einen dieser nicht sehr großzügig gepolsterten Wartesessel plumpsen. Verbrennst du dir auch immer den Gaumen mit den Kaffees zum Mitnehmen? Ich versuche in die kleine Öffnung zu pusten, was gar nichts bringt. Als ich den Deckel abnehme, hüpfen mehrere Tröpfchen auf den blank polierten Flughafen-Boden. Bravo. Natürlich ist er nicht wirklich blank poliert, aber das klingt im Zusammenhang mit dem Verschütten einfach um einiges dramatischer. Ich wende mich Hcs Pinguin-Buch zu, anstatt mich hier weiterhin wie der letzte Gogol aufzuführen. Ich packe in meinen kleinen, grünen Koffer…. Das Pinguin-Buch, da eine freundlich aussehende Stewardess eben alle Passagiere zum Einsteigen aufgerufen hat. Natürlich bleibe ich noch ein bisschen sitzen, während die Mehrheit der anderen so schnell wie möglich von ihren Stühlen aufsteht. Ich kann die allgemeine Aufregung in solchen Momenten nicht verstehen. Uns allen wurde ein Platz zugeteilt - der wird nicht besser, schlechter, schöner oder bequemer, je schneller wir in den Flieger springen. Und den am Fenster habe sowieso ich, seit langem, vor zwei Monaten schon gebucht, also nutzt die Rennerei wirklich gar nichts. Null. Nada. Rien de rien. „Da der Flug ausgebucht ist, bitten wir die Fluggäste mit schwerem Handgepäck, dieses bei der Besatzung abzugeben.“, sagt nun eine jüngere, aber nicht weniger freundlich aussehende Stewardess. Der kleine, grüne Koffer und ich kichern beide schadenfroh vor uns hin, während wir auf sie zugehen. Schließlich haben alle Schnell-Einsteiger diese grandiose Möglichkeit verpasst. Da auf mich noch ein 6 stündiger Aufenthalt auf Charles de Gaulles wartet, kommt mir die Aufforderung besonders entgegen. So werde ich bald frei von dem kleinen, grünen Koffer in Paris umherflanieren können, wo ich mit einer Freundin verabredet bin. Die Stewardess klebt ein Ticket an den Koffer-Halter und bestätigt mir, dass ich ihn abends, bei meiner Ankunft in Montpellier wiederbekommen würde. Nach weiteren Kaffees, stinkenden Käse-Nudeln und der Freude meine Freundin mit Mann wiedergesehen zu haben, stelle ich mich einige Stunden später in Paris zum Boarding an. Wie immer bin ich am Ende der Menschenschlange, die schon mindestens bis zum Bauch im Flieger steckt. Da höre ich plötzlich meinen Nachnamen. Gar nicht dezent, sondern aus dem Lautsprecher. Eine Flugnummer gibt es auch zu dieser Person, die bestimmt nur eine meiner vielen Namensvetterinnen ist. Zumindest versuche ich mir das einzureden. Bei meinem Zahlengedächtnis vergesse ich besagte Nummer natürlich gleich wieder und frage die Stewardess, die dabei ist mein Ticket zu kontrollieren, ob sie das auch gehört habe. Lächelnd meint sie, da sei sicher jemand anders gemeint. Ich kenne dieses Lächeln. Das gleiche setze ich auch gerne vor Kunden auf, wenn ich keine Ahnung habe, ob das, was sie befürchten, eintritt oder nicht, ich das aber aus beruflichen Gründen nicht zugeben kann. Bestimmt überhört die werte Dame die Lautsprecher-Ansagen mittlerweile. Aber ich habe keine Zeit zu Schalter siebentausendneunhunderfünfundachzig zu gehen, da das Flugzeug bereit ist, um abzuheben. Also steige ich ein, in der Hoffnung, dass es meinem kleinen, grünen Koffer gut geht und wir uns eines Tages wiedersehen werden. Im Flieger schlafe ich ein. Sofort, nachdem ich mich hingesetzt habe, noch lange vor dem Abflug. Erst als das Keks-Wägelchen mit dem leckeren Orangensaft vor meiner Sitzreihe hält, springen meine Augen auf wie eine Kuckucksuhr. Intuitiv weiß ich natürlich längst, dass die Lautsprecheransage an mich und niemanden anders gerichtet war. Aber was soll das jetzt noch ändern? So schlafe ich… und schlafe… und schlafe…. bis das Rütteln der Landung mich weckt. Ich packe in meinen kleinen grünen Koffer, den ich der freundlichen Stewardess übergeben habe…. Ein Sandmännchen, das mir von allen Winkeln aus Körnchen in die Augen katapultiert. Ich sollte dynamisch sein, jetzt, wo ich am Ziel meiner ganztägigen Reise bin, motiviert. Stattdessen fühle ich mich ein bisschen wie von einem anderen Planeten, mit dröhnendem Kopf, verschwommenem Blick – wie nach 6 Stunden Fernsehen oder einer zehnstündigen Autofahrt. Ob ich Hunger habe, kann ich schwer beurteilen, nach mehreren vereinzelten Keksen, die meinem Magen ziemlich gut vorgegaukelt haben, eine Mahlzeit darzustellen. Durst, ja, müde, ja. Koffer, nein. Oder – vielleicht. Wie alle anderen Passagiere, stelle ich mich vor das Gepäck-Fließband. Ein Koffer nach dem anderen, eine Reisetasche nach der anderen, kommen all die Gepäckstücke an. Die meisten sind schwarz, dunkelblau, einige dunkelrot. Kein grün. Ein komisches Gefühl macht sich in meiner Magengrube breit. Es behauptet, genau mein Koffer würde nicht kommen. Genau meiner, unter all den Gepäckstücken, die verloren gehen hätten können. Klingt doch irgendwie unlogisch, oder? Fast wie ein umgekehrter Lottogewinn. Ich tue einfach so, als gebe es dieses Gefühl nicht. Kurz darauf sind außer einem jungen Pärchen, einer dreiköpfigen Familie und mir alle Fluggäste durch die Ausgangstür verschwunden. Samt Gepäck, verständlicherweise. Ich beschließe schlicht und einfach so lange zu warten, bis auch der kleine, grüne Koffer auftaucht – und wenn es Stunden, Tage, Wochen dauert. Ich bleibe einfach stehen und starre weiterhin geradeaus. Wir (Pärchen, Familie und ich) warten bereits seit etwa 20 Minuten. Auch dann noch, als eine rote, in blauem Plastik verpackte Tasche zum fünften Mal an uns vorbei fährt. (Wer verpackt schon seine Tasche in Plastik?) Ich warte noch immer, als das Paar mit dem Gepäckwägelchen sich an die Flughafenmitarbeiterin wendet. Selbst, als der kleine Junge sagt die Gpäck-Luke da hinten sei jetzt zu, warte ich noch. Seine Eltern sind jetzt auch schon zur Gepäckstelle gegangen, die sich praktischerweise direkt neben dem Fließband befindet. Ich warte noch, nur noch ein bisschen, nur noch so lange, bis die rot-blaue Tasche ein letztes Mal vorbeikommt. Doch da bleibt das Fließband stehen. Anscheinend wird das heute nichts mehr. Kein kleiner, grüner Koffer. Er muss den Paris-Aufenthalt verlängert haben. Und ich hätte mich wohl doch den Schnell-Einsteigern anschließen sollen. So ist das, mit der Schadenfreude, sagt das Gefühl in meinem Bauch und grinst hämisch.


Danke für deinen Besuch!
Blogeinträge
Search By Tags
Pas encore de mots-clés.
Follow Us
  • Facebook Classic
  • Twitter Classic
  • Google Classic
bottom of page