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Der Tod des Seemannes

Seitdem Lena die Augen geöffnet hat, betrachtet sie die Decke. Sie macht leichte Unebenheiten aus, die man mit ein bisschen mehr Genauigkeit gewiss hätte vermeiden können. Zumindest hat das ihr Vater behauptet– und der kennt sich schließlich aus, mit Bauarbeiten. Nicht nur damit – Vater weiß auch sonst, was das Beste für sie ist – und für Mutter, Rafael, oder das alte Haus. Lena mag die Unebenheiten an der Decke. Sie erinnern sie an Schafe, Wolken, Bäume, Hexen mit Hakennnasen. Das alte Haus mag sie auch. Seitdem es nicht mehr zu regnen aufhört, verspürt sie hin und wieder eine plötzlich aufkommende Panik, wenn sie sich vorstellt, das alte Haus könnte im ansteigenden Wasser ertrinken. “Blödsinn.”, hat Papa kopfschüttelnd gesagt. “Weder trinkt ein Haus, noch betrinkt es sich und genauso wenig kann es ertrinken.” Er hat natürlich recht. “Hab’ ich recht?” Natürlich hat er recht – so wie er damit recht hat, Lena nachts einzusperren, denn das ist schließlich für ihre Sicherheit. Lena ist Schlafwandlerin.

 

Sie befreit sich aus der schweren Decke, steht auf. Ihre nackten Füße berühren den Parkettboden. Sie geht ans Fenster. Grau ist es draußen, grau wie der Asphalt, grau wie die elegante Siamkatze in der Katzenfutterwerbung. Selbst im Inneren des alten Hauses riecht es nach Regen. Die Kondensation hat mehrere, langsam nach unten rinnende Tropfen auf das einzige Zimmerfenster gezaubert. Wie kleine Bäche. Der Bach des Dorfes muss sich nach all den Regentagen in einen Fluss verwandelt haben, die Hütte des Bachmannes in ein Boot. Seitdem sie klein sind, nennen Lena und Rafael die seltsame, am Bach lebende Gestalt “den Bachmann”. Niemand im Dorf kennt seinen Namen und niemand fragt danach. Anders sei er, heißt es. Man solle nicht mit ihm sprechen. Dass Lena genau das tat, weiß niemand. Es war am zehnten Hochzeitstag ihrer Eltern, als Oma die Nacht vor dem Fernseher verbrachte. Peter Alexander himmelte sie an, so lange, bis ihr die strahlenden Augen zufielen. Da schlief Lena längst. Doch Lena wandelt im Schlaf, sie ist eine Schlafwandlerin. Oma vergaß allerdings die Zimmertür abzuschließen, geblendet von Peter Alexanders Lächeln.

Schlafwandler soll man während dem Schlafwandeln nicht wecken, hat Lena gehört. Manchmal ist sie währenddessen von selbst aufgewacht, nicht immer in ihrem Bett, da sie schließlich gewandelt ist. Einmal ist sie am Klo aufgewacht, und einmal in der Küche, stehend. Einmal hat Vater sie entdeckt, vor dem Aquarium – mit großen Augen, einem seltsamen Blick – dem Blick einer Schlafwandlerin. Seitdem sperrt er abends die Zimmertür ab.

 

Lena macht sich ein bisschen Sorgen um den Bachmann, wo dieser direkt am Bach wohnt, der sich bestimmt mittlerweile in einen Fluss verwandelt hat, oder gar einen See. Sein Haus muss zu einem Hausboot geworden sein und er selbst zu einem Seemann. Lena hofft nur, dass er nicht ertrunken ist. Aber wenn es dem alten Haus, in dem sie wohnt, gut geht, müsste es einem Seemann auch gut gehen, denkt sie hoffnungsvoll.

Beim Geräusch des sich umdrehenden Schlüssels erschrickt Lena leicht. Sie schämt sich kurz dafür, sich Sorgen um den Bachmann gemacht zu haben – den, von dem niemand den Namen kennt, der ohne Strom lebt, wie ein Wilder. Ihr Vater kommt herein, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. “Du verstehst doch, wieso ich abschließe, nicht wahr, mein Schatz?” Sie nickt, wie jeden Morgen, schaut weiterhin aus dem Fenster. “Du verstehst doch, dass du eine Schlafwandlerin bist, die man beschützen muss.” “Ja, Papa, ich verstehe das.”, antwortet Lena. “Schau, der Regen hat nachgelassen, ich kann wieder zur Arbeit fahren. Die große Brücke ist wieder frei und die Straßen sind geräumt. Ab morgen kannst du wieder in die Schule. Wer weiß – vielleicht kommt nachher sogar die Sonne zwischen den Wolken durch?” Papa lächelt. Die Fältchen um seine strahlenden Augen vermehren sich für ein paar Sekunden. “Ich fahr dann. Mama ist einkaufen gegangen. Der Krämerladen hat extra sonntags aufgesperrt, weil wir alle so lange nicht mehr einkaufen gehen konnten. Nachdem die Straßen so lange unbefahrbar waren...” “Super.”, sagt Lena und versucht ein bisschen Begeisterung vorzutäuschen. In Wahrheit macht sie sich weiterhin Sorgen um den Bachmann.

 

Im Traum tanzte sie, beinahe schwebend. Ihre Beine waren so leicht, bewegten sich ganz von allein. Doch irgendwann verlor sie den Boden unter den Füßen, sie stürzte in die Leere… Bis sie mit einem Ruck aufwachte. Ein stechender Schmerz zog sich von ihrem Oberarm aus durch die linke Schulter. Da sah sie ihn, den Bachmann, der sie am Oberarm festhielt, um sie aufzufangen. Und erst da fühlte sie, wie kalt ihr war – kein Wunder, war es doch mitten im Winter und sie nicht in ihrem Bett, sondern im Freien. Sie befand sich auf dem zugefrorenen Bach, bestimmt einen Kilometer entfernt von ihrem Haus. Oma musste krank vor Sorge sein! - jetzt, wo der Film längst zu Ende war und Peter Alexanders Augen sie nicht mehr blenden konnten. Trotz der sie umgebenden Kälte, spürte Lena eine innere Wärme in sich aufsteigen. Diese Wärme ging von den herzlichen Augen des Bachmannes aus. “Oh nein! Oma wird sich Sorgen machen! Sie hat vergessen mich einzusperren!”, rief Lena. “Dich einzusperren?”, wiederholte der Bachmann erstaunt. Trotz der Verwunderung lächelte er weiterhin freundlich. “Nein, nicht so… Ich meine – Sie verstehen das falsch! Sie muss mich einsperren. Haben Sie nicht gesehen, dass ich Schlafwandlerin bin?” “Schlafwandlerin?”, fragte der Bachmann. Er lachte. “Denken Sie etwa, dass ich wach war und von zuhause weglaufen wollte? Ich wollte nicht weglaufen… schon gar nicht in der Kälte! Und meine arme Oma… Bitte sagen Sie ihr nicht, dass Sie mich hier gesehen haben!” Für einen kurzen Moment hatte sie vergessen, dass niemand aus dem Dorf mit dem Bachmann sprach. Das konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen, bei den gütigen Augen. “Keine Sorge, wenn man mich nach einer Schlafwandlerin fragt, die man hätte einsperren sollen, dann hab' ich nichts gesehen. Gesehen hab ich nur eine Traumtänzerin und die muss man schließlich tanzen lassen.” Lena schaute ihn ein bisschen verwirrt an, fragte sich erst, ob er sich über sie lustig machte. Dann beschloss sie im Stillen, dass er einfach etwas speziell wäre und ihr das gefiel. Vor allem gefiel es ihr eine Traumtänzerin zu sein. Sie lächelte schüchtern, wagte es allerdings nicht den Bachmann anzusehen. Dieser half ihr auf die andere Seite des Baches. Dort zog er seine zerschlissene Jacke aus. “Hier, ein Tütü, für die zukünftige Karriere.”, sagte er schmunzelnd, als er ihr die Jacke um die Schultern legte. Trotz einiger Löcher, war ihr mit der Jacke gleich weniger kalt. Am anderen Ufer angelangt, betrachtete Lena überrascht zwei halbkreisförmige Spuren im Schnee, die sie an einen liegenden Vogel erinnerten. Der Bachmann lachte wieder. Anscheinend lachte er die ganze Zeit. In Wahrheit hatte er nichts mit der Gestalt gemein, die Rafael und Lena sich vorgestellt hatten. “Da hast du vorhin einen Schneeengel gemacht. Als ich das gesehen hab', bin ich aus meiner Hütte gekommen und da hast du zu tanzen begonnen.” Seine Erzählung schien ihn köstlich zu amüsieren. “Ich hab' getanzt? Einen Schneeengel gemacht?”, wiederholte Lena erstaunt. Der Bachmann nickte. “Einen Schneeengel.” Sie wunderte sich über sich selbst, bedankte sich kurz und ging nachhause, ohne sich umzudrehen. Hinter sich hörte sie die Tür der Hütte ins Schloss fallen.

 

Erschrocken hebt Lena den Kopf. Es war die hinter Vater zufallende Zimmertür, die sie aus den Gedanken gerissen hat. Er ist also bereits auf dem Weg zur Arbeit. Sie erinnert sich gar nicht mehr an seine Abschiedsfloskel. Eine Schlafwandlerin ist sie, wie es aussieht sogar am Tag. Traumtänzerin – würde der Bachmann korrigieren. Dass Vater zur Arbeit gefahren und Mutter einkaufen gegangen ist, hat sie mitbekommen. Also schleicht sie leise die Stiegen nach unten. Sie hat sich die zerschlissene Jacke des Bachmannes unter den Arm geklemmt. Lena steckt ihre nassen Füße in die knallroten Gummistiefel und drückt die unverschlossene Haustür auf. Der Regenguss hat sich in einen kaum bemerkbaren Nieselregen verwandelt. Angenehm streift er ihre, vom Schlaf noch warme Haut. Im Pyjama ist es kühl im Freien. Natürlich nicht so kalt wie in der Nacht im Winter, aber trotzdem kühl. Lena bewegt ihre dünnen Beine so schnell sie kann, fast als ginge es um Leben und Tod. Vielleicht tut es das wirklich – wo der Bachmann so nahe am Bach wohnt, der sich tatsächlich in einen See verwandelt hat. Lena sieht diesen schon von weitem. Er hat sich über den gesamten Acker und die Wiese dahinter ausgebreitet. Von der Hütte des Bachmannes ist nicht mehr viel übrig – außer einem hochragenden Stipfel in der Mitte. Natürlich - der Mast, der das Segel des Hausbootes trägt, denkt Lena voller Hoffnung. Schließlich muss der Regen den Bachmann in einen Seemann verwandelt haben.

Lena ist am Fluss angekommen. Die warmherzigen Augen des Seemannes sind geschlossen. Vielleicht aufgrund der zarten Sonnenstrahlen, die auf sie fallen. Er muss geblendet sein, von deren Schönheit. Ein paar unbewegte Lachfalten umgeben seinen bärtigen Mund. Er liegt genau an der Stelle, an der Lena im Winter die halbkreisförmigen Spuren im Schnee ausgemacht hat. Da liegt er, ohne sie anzusehen, ohne zu sprechen, ohne zu atmen. Ein Schneeengel. Regenengel, das klingt nach nichts, also stellt sich Lena Schnee vor. Das geht ganz einfach, da Schnee doch auch nur Wasser ist, also angenommen es wäre ein bisschen kälter… Ein Schneeengel. Sie stellt sich vor, wie er aufsteht und über den Fluss, zu seinem Hausboot schwimmt. “Hier, ein Segel.”, sagt die Traumtänzerin und breitet die zerschlissene Jacke über ihn.

Was wurde eigentlich aus dem Erpel?

....hat sich Annika in ihrer "Blassrosa - oder die geheime Taktik des Monsieur F" - Rezension gefragt. Da ich diese hochphilosophische Frage durchaus Ernst nehme, habe ich mich auf eine 2-tägige Recherche-Tour in die Pariser Vorstädte begeben. Hier das Resultat:

 

Mittwoch, trüb

 

Sie betrachtete die Decke. Seit mehreren Wochen im blassrosa Haus, kannte sie deren Unebenheiten in und auswendig. Ein bisschen so, wie die Ecken und Kanten des Fuchses. Eine dieser Ecken war ohne jede Frage seine Vorliebe für alte Einrichtungsgegenstände. Vor ihr versuchte er diese als Vintage-Prachtstücke zu tarnen, doch sie hatte bereits bei ihrer Ankunft im blassrosa Haus bemerkt, dass es sich dabei eher um Flohmarkt-Abfälle handelte. Da sie einen weitaus höheren Standard gewohnt war, hatte sie vor einigen Tagen damit begonnen, diese Möbelstücke auszutauschen. Eines nach dem anderen. Während der Fuchs sich noch von einer Seite auf die andere wälzte, zwängte sie sich in eines ihrer teuren Kostüme. Sie machte sich auf den Weg zur Arbeit.

 

Kurze Zeit später saß der Fuchs wie üblich mit einer Tasse Kaffee vor dem Kamin. Er überlegte, wann der richtige Moment wäre, um das Gemüsebeet umzugraben. Das Klingeln an der Haustür riss ihn aus diesen Gedanken. Mit der Kaffeetasse in der Hand, ließ er seine, in Socken steckenden Füße, über den glatten Fußboden gleiten. So lange, bis er bei der Haustür ankam. Vor dieser stand ein Arbeiter in blau. War es etwa der Umzugshelfer, den Jennifer damals herumkommandiert hatte? Doch ein Umzugshelfer – wem sollte der denn jetzt noch beim Umzug helfen? Er selbst wollte gewiss nicht umziehen. Und sie...? Wollte sie denn...? Panisch blickte der Fuchs um sich. Hatte er das geträumt, oder hatte seine Liebste das Haus heute morgen früher verlassen? Und der Abschiedskuss – hatte sie ihm etwa keinen Abschiedskuss gegeben? Panisch schlug der Fuchs die Haustür vor der Nase des Arbeiters zu. Ohne ein Wort. "Qu'est-ce que..." (franz.Was?), hörte er den anderen sagen. Doch das hörte der Fuchs gar nicht mehr. Er kam keuchend vor dem Schlafzimmerschrank an. Natürlich, sie hatte jemanden kennengelernt. Einen anderen Mann. Dieser neue Chef war doch bestimmt um einiges hübscher, charamanter, vielleicht sogar intelligenter als er selbst... interessanter, als jemand, der seine Freizeit vor einem Kamin verbrachte.

Erleichtert atmete der Fuchs auf, als er sah, dass alle Klamotten noch im Schrank waren. Vielleicht hatte er nur geträumt und vor der Tür war überhaupt niemand. Diesen Gedanken bezweifelte der Fuchs sogleich wieder, als es wie verrückt zu klingeln begann. "Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs....", zählte er die schrillen Geräusche, während er sich zurück in den Voraum begab. Er öffnete die Tür. "Wieso lassen Sie mich denn einfach vor der Haustür stehen?", fragte der überraschte Mann in Arbeitsanzug skeptisch. "Ich... hmm... ich dachte Sie wären Umzugshelfer.", antwortete der Fuchs mit einem entschuldigenden Lächeln. "Das war ich früher, ich hab Job gewechselt.", entgegnete der Mann vor der Tür. "Na dann... na dann ist das was anderes. Dann können Sie... Sie können sprechen. Was brauchen Sie denn?" "Ich bringe die Gefriertruhe." "Gefriertruhe?" Wahrscheinlich war das eine neue Masche, um bei den alten Leuten einzubrechen, dachte sich der Fuchs. Aber alt genug, um solchen Unfug zu glauben, war er nun auch wieder nicht. Der Fuchs schüttelte lächelnd den Kopf. "Mich interessiert Ihre komische Gefriertruhe aber nicht. Versuchen Sie's doch bei der Nachbarin." "Aber... die Madame hat mir diese Adresse gegeben, nicht die von der Nachbarin." Als Beweis hielt der gute Mann einen Lieferschein hoch. Tatsächlich, die Adresse des Fuchses - und die Gefriertruhe sogar schon bezahlt. Eine Gefriertruhe. Dabei hatte er doch schon eine. "Und mein Kollege kommt am Nachmittag, um die alte zu holen." "Die Alte? Welche Alte? Doch nicht... meine Alte?" Mit einem Gefriertruhen-Lieferant durchzubrennen wäre doch wirklich kein logischer Schachzug... "Die alte Gefriertruhe. Sie haben den Aktionspreis bekommen, weil wir dann die alte Gefriertruhe bei Ihnen abholen. Jetzt haben Sie ein paar Stunden Zeit, um das alles umzuräumen und nachher kommt mein Kollege...." Da hörte der Fuchs dem Arbeiter gar nicht mehr richtig zu.

 

Dass seine alte Gefriertruhe weg sollte, bedeutete nun wohl, dass er sie so schnell wie möglich leeren sollte. Also machte er sich daran das Gemüse, das Fleisch, die fertigen Kartoffeln, den schwarzen Müllsack mit unbekanntem Inhalt.... schwarzen Müllsack mit unbekanntem Inhalt? Wieso war denn da, da ganz unten in der Gefriertruhe ein schwarzer Müllsack? Vorsichtig zog er die Öffnung auseinander und warf einen verstohlenen Blick hinein. Es war der Erpel. Es war der verdammte Erpel, den Madame Bontcho ihm eines Tages aus unerklärlichen Gründen in die Hand gedrückt hatte. Mit all seinen Federn, mit all seinen Organen – mit weit aufgerissenen, erschrockenen Augen. Schnell warf der Fuchs den Müllsack zurück in die Gefriertruhe. Er hatte keine Ahnung, was er mit dem verdammten Vieh anstellen könnte. Aber auf alle Fälle müsste er es loswerden. Er beschloss den Fondants einen spontanen Besuch abzustatten. Ihr neues Haus gefiel ihm richtig gut, aber auch die beiden hatte er zu schätzen gelernt. Bestimmt hätten sie eine angebrachte Lösung für sein Problem. Auf dem Weg dachte er kurz an den Kannibalen und ob dieser seinen neuen Zellenkollegen verspeist, oder angenagt haben könnte, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder. Diese Geschichten gingen ihn schließlich jetzt nichts mehr an. Er klingelte an der Haustür der Fondants.

Monsieur Fondant öffnete ihm lächelnd. Einen Kaffee sollte der Fuchs trinken – doch der Fuchs hatte bereits einen Kaffee getrunken und bei seiner Unruhe wollte er gewiss keinen zweiten. "Wieso bist du denn unruhig?", fragte Monsieur Fondant und schob den Fuchs ins Innere seines Hauses. Doch der Fuchs wollte gar nicht eintreten, viel lieber wollte er Monsieur Fondant dazu bringen, sich den Inhalt der Gefriertruhe anzusehen. "Nein, nein, ich komm nicht rein – komm du raus, ich will dir da was zeigen..." Da der Fuchs etwas besorgt wirkte, zog sich Monsieur Fondant einen Mantel über. "Brauch ich meine Tarnjacke?", fragte er. "Tarnjacke? Nein, dafür ist es jetzt schon zu spät..." "Zu spät?" Monsieur Fondant hoffte, dass sich der Fuchs nicht wieder unnötig in Gefahr gebracht hatte. In schnellem Schritt marschierten die beiden den Hügel nach unten.

 

Sie hatte Glück, denn nur, weil sie etwas früher nachhause gekommen war, kam sie genau im selben Moment, wie der Gefriertruhen-Lieferant vor dem blassrosa Haus an. Oder Gefriertruhen-Abholer, in diesem Fall. Innerlich kochte sie vor Wut – wusste der Fuchs doch ganz genau, dass er hätte zuhause bleiben sollen, um sich um die Abholung zu kümmern. Aber nein – er war wieder einmal seinen verdrehten Gedanken nachgegangen und weiß Gott wo... "Und – haben Sie alles ausgeräumt?", fragte der Lieferant. Hatte er das? "Ich... ich denke schon.", antwortete sie. "Sie denken? Wissen Sie denn nicht, ob Sie alles ausgeräumt haben?" Sein Kollege hatte recht, die Bewohner dieses Hauses waren ein bisschen seltsam. "Dann sehen wir doch einmal nach, ob da noch was drin ist.", meinte er und begann die Läden der Gefriertruhe aufzuziehen. "Da ist noch was.", stellte er sogleich fest und drückte ihr den schwarzen Müllsack in die Hand. "Sonst ist das okay so, vielen Dank." Der Arbeiter verschwand. Sie blieb alleine zurück, mit einem eiskalten Müllsack in der Hand. Vorsichtig zog sie dessen Öffnung auf... Doch da wurde sie auch schon vom Eintreffen des Fuchses und Monsieur Fondants in ihrer Handlung unterbrochen. "Wo warst du denn? Du weißt doch, dass der Typ mit der Gefriertruhe kommt und..." "War er schon da?" Fast hätte der Fuchs erleichtert aufgeatmet, weil er angenommen hatte der Erpel wäre in der Gefriertruhe geblieben – doch da bemerkte er den Müllsack in ihrer Hand. Er beschloss sofort reinen Tisch zu machen, um jeglichen Streit zu vermeiden. "Bevor du dich aufregst... Also, bevor du da reinschaust... Ich möchte, dass du weißt... Madame Bontcho und ich... wir haben uns gut verstanden, aber jetzt... also nicht... nicht wie du denkst – also kein... da gab's keine Geschichte oder... du weißt was ich meine." Wusste sie, was er meinte? Oder versuchte er gerade eine Affäre zu vertuschen, indem er seine Erklärung damit begann eine Affäre abzustreiten? "Nein, ich weiß nicht, was du meinst. Ich hatte schon das Gefühl, dass ihr euch gut versteht. Sehr gut sogar." Um ihn zu provozieren, ließ sie einen ungläubigen Unterton mitspielen. In Wahrheit hatte sie nie irgendeine Geschichte zwischen den beiden vermutet, aber jetzt – wo er so herumstotterte, fragte sie sich, ob sie das vielleicht doch hätte tun sollen. "Überhaupt nicht! Wir verstanden uns... überhaupt nicht so gut!" Oder wollte er etwa damit andeuten, dass... dass Madame Bontcho gar nicht in Südfrankreich war, sondern viel mehr... viel mehr in.... in dem schwarzen....? "Bist du völlig verrückt geworden?" Angeekelt warf sie den Müllsack in seine Richtung. "Du hast doch nicht? Du hast die doch nicht...? Geld fälschen hin oder her – aber du hast sie doch nicht...? Was hat dir denn die arme Frau getan?" Sie bekam weiche Knie, musste sich an der Wand abstützen, damit diese nicht nachgaben. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Wenn das stimmte, bedeutete das, dass sie bereits seit Monaten mit jemandem unter einem Dach lebte, der... Sie schaffte es gar nicht ihren Gedanken zu Ende zu denken, so absurd wirkte er auf sie.

 

"Entschuldigung, darf ich mich kurz einbringen?", fragte Monsieur Fondant vorsichtig. "Ich will mich ja nicht aufdrängen, aber was da in dem Müllsack ist, ist schon ziemlich klein, also... nicht, dass ich Madame Bontcho als fett bezeichnen würde... aber was da drin ist...." Er nahm dem Fuchs den Müllsack aus der Hand. Er zog ihn auf und beugte seinen Kopf hinein, fast als wollte er in den Sack steigen. "Oh nein!", rief er da.

Dieser Ausruf bestätigte ihre scheckliche Vermutung. Wie hatte sie nur so blind sein können? "Ich wusste es! Du hast... Du hast sie zerstückelt! Du hast....!", Sie war außer sich. "Verdammt! Mein Erpel!", rief da Monsieur Fondant. Das ließ sie verstummen.

"Erpel?", fragte sie ungläubig, wenige Hunderstel darauf. "Ich dachte das verdammte Vieh wäre ich mittlerweile losgeworden. Wie soll ich das nur meiner Frau beibringen?"

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