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Das mysteriöse Geräusch

Paris, 2013, während meiner Ausbildung zur Rezeptionistin

Sonntags kommt es selten vor, dass wir zu zweit an der Rezeption stehen. Denn sonntags ist es ruhiger im Hotel - die Adleraugen der Chefs sind anderwärtig beschäftigt. Oder völlig unbeschäftigt. Es herrscht eine gewisse Narrenfreiheit. Das bedeutet mein Kollege erlaubt sich mehr als nur eine Rauchpause und wir können heimlich Kaffee trinken. Normalerweise dürften wir den Aufbewahrungsort des streng geheimen Kaffeeautomaten-Schlüssels natürlich überhaupt nicht kennen. Doch mein Kollege hat seinen Charme bei der Frühstücksdame spielen lassen, was zu einem sehr guten Resultat geführt hat : Zu koffeinhaltiger Narrenfreiheit. Wir bewahren noch ein klein wenig Anstand, was bedeutet, dass unsere Tassen nicht direkt am Schalter stehen. Sie sind im « Back-Office », frei übersetzt dem Arschbüro, richtig übersetzt dem Büro hinter der Rezeption, in das die Kunden nicht sehen können. So vergessen wir, an diesem Sonntag sehr verwöhnten, Rezeptionisten, sogleich, dass besagte Tassen überhaupt da sind. Der Kaffee beginnt abzukühlen, während ich ein ankommendes Paar begrüße. Da sie einen deutsch-klingenden Namen tragen, gebe ich sogleich meine Sprachkenntnisse zum Besten. Mein russischer Kollege lächelt begeistert und träumt wahrscheinlich insgeheim davon, auch ein paar seiner Landsleute zur Tür hereinspazieren zu sehen. Bei Landsleuten wird man besonders leicht zum Lieblingsrezeptionisten und kann so bald nach der Abreise der Gäste begeisterte Kommentare über sich im Internet lesen, was vor allem den Chefs gefällt. Manchmal darf man auch Trinkgeld einheimsen, oder im besten Fall – beides. « Nein, wir kommen aus Österreich. », erwidert die Dame mit dem modischen Kurzhaarschnitt lächelnd. « Wirklich? Ich auch! », sage ich überrascht, da wir seit meiner Ankunft in Paris noch nie Gäste aus meinem Heimatland hatten. Und da dauert der Check-In natürlich um einiges länger, als gewöhnlich – denn die Dame muss mir erst von ihren Urlaubserlebnissen erzählen und dann gleich ein paar meiner Insidertipps notieren. Kurze Zeit später schlendern die Kunden zufrieden in Richtung Lift. Madame trägt eine Sporttasche, lässig über die Schulter gehängt. Ihr Mann zieht ein Köfferchen hinter sich her. Als sie um die Ecke verschwunden sind, fällt mir wieder ein, dass mir zur Feier des Tages ein Kaffee – Pardon, eine lauwarme Koffeinbrühe – zur Verfügung steht. Sie schmeckt mittlerweile durchaus seltsam. So verschwindet sie im Abfluss. Mein Kollege und ich arbeiten ein bisschen, unterhalten uns ein bisschen mehr. Da kommt ein Anruf aus einem der Zimmer rein. « La réception, Bonjour ? », melde ich mich. Als ich merke, dass die Österreicherin am Apparat ist, wechsle ich die Sprache. « Es tut mir ja leid, dass ich mich beschwere... », kommt es vom anderen Ende der Leitung. Es ist typisch österreichisch, eine Beschwerde mit diesem Satz zu beginnen. Der Durchschnittsösterreicher meckert zwar gerne einmal hinter vorgehaltener Hand – sich jedoch in Restaurants, Hotels oder anderswo zu beschweren, gehört nicht unbedingt zu seinen Gewohnheiten. Grundsätzlich würde man eher sagen, die Situation « passt schon « . Das mag an unserer Erziehung - oder der Mentalität, sich eher bescheiden zu geben, liegen. Vor allem als Urlauber, könnte man natürlich auch irgendetwas falsch verstanden haben und sich aufgrund einer unnötigen Beschwerde schrecklich schämen müssen. Im Gegensatz dazu, lieben es die französischen Hotelkunden, sich zu beschweren und die deutschen haben zumindest kein Problem damit. Wahrscheinlich hätte ich sogar selbst meine Beschwerde mit diesem Satz begonnen : « Ich will mich ja nicht beschweren... » Dann spricht sie ein bisschen über die tolle Aussicht, die Sauberkeit - nicht zu vergessen den professionellen Empfang... « … aber in unserem Apartment höre ich die ganze Zeit so ein komisches Summen. » Ein Summen . « Ein elektronisches Summen. » « Ist es vielleicht die Klimaanlage ? », frage ich. Sie verneint. Anscheinend ist die aus. « Und der Geschirrspüler ? Manchmal schalten die Zimmermädchen den ein. » Sie verneint wieder. Alle elektronischen Geräte seien aus. Da sonntags der Haustechniker nicht da ist, biete ich ihr ein anderes Apartment an. « Wenn Ihnen das passt im gleichen Stock, gleiche Straßenseite... » Sie will, denn Stock und Straßenseite seien schließlich wunderbar. Wenige Minuten später erscheint die Kundin, immer noch mit ihrer sportlichen Umhängetasche, an der Rezeption. Es sei ihr ja irrsinnig peinlich und sie wolle nicht aufdringlich sein. Ich versichere ihr, dass sie das nicht sei und es wenn dann mir peinlich sein müsse. Dass es mir das nicht ist, weil ich für technische Probleme nichts kann, sage ich aus Höflichkeit nicht dazu. Dass man, meiner Meinung nach, um 120€ die Nacht ein Apartment ohne Summen erwarten kann, spreche ich auch nicht aus. Die Kundin verschwindet mit dem neuen Schlüssel im Lift. Ich suche nach unbeantworteten Mails, ohne Erfolg. Also bringt mir mein Kollege einen neuen Kaffee. Wir versuchen uns mit unnötigen Internet-Recherchen die Zeit zu vertreiben. Da klingelt das Telefon. Am Apparat ist wieder die österreichische Kundin, die, begleitet von den üblichen Freundlichkeitsfloskeln, behauptet auch im neuen Apartment das gleiche Geräusch zu hören. Da wir zu zweit an der Rezeption sind, schlage ich ihr diesmal vor, mir das Problem selbst anzuschauen (oder viel mehr anzuhören). Wer weiß – vielleicht existiert das Summen auch gar nicht, sondern die Kundin hat nur eine unerforschte Form von Tinnitus? Das Aparthotel, in dem ich mein Praktikum mache, ist ziemlich schick. Teuer finde ich es trotzdem, aber das sind sicher die meisten Hotels im Umkreis der Oper. Den gefliesten Empfangssaal betritt man von einem bepflanzten Innenhof aus. Die Apartments mit Aussicht auf genau diesen, sind genauso begehrt, wie rar. Vor dem Lift stehen einige elegante, rote Sofas, neben einer Zeitschriftenecke. Ich fahre einen Stock nach oben. Dort angekommen, habe ich das Gefühl, meinen hektischen Pariser Alltag zu verlassen. Der Gang ist in ein angenehmes, gedämpftes Licht, mit Bewegungsmelder getaucht. Das übliche, scheppernde Geräusch meiner am Boden aufkommenden Stöckel, wird hier von einem Teppichboden verschluckt. Dieser trägt ein modernes Muster und strahlt vor Sauberkeit. Dem gewohnten Straßenlärm gelingt es nicht, bis hierher durch zu dringen. Die Kundin erwartet mich bereits an der Tür, bittet mich herein. Das beschriebene Summen existiert wirklich. Oder zumindest höre ich es auch. Es ist ein mechanisches, nicht allzu lautes, aber auf Dauer doch unangenehmes Geräusch. Ich mache eine Runde im etwa 20 Quadratmeter großen Appartement. Wie die Kundin mir bereits mitgeteilt hat, sind Klimaanlage, Geschirrspüler, Fernseher und Radio aus. Es summt trotzdem. Überall. Ein bisschen als befänden wir uns in einem gigantischen Wespennest, nur glücklicherweise zumindest ohne Wespen. Die Kundin macht auch eine Runde, ich folge ihr, dicht auf den Fersen. « Es ist, als würde uns das Geräusch verfolgen! », meint sie lachend. Genau das Gefühl habe ich auch. Übrigens bin ich sehr erleichtert über ihre Freundlichkeit – andere Kunden hätten ihre Unzufriedenheit vielleicht auf eine ganz andere Art zur Schau gestellt... Ratlos drehe ich mich einmal um mich selbst. Wie erwartet hält das Geräusch an. Jetzt, wo wir aufgehört haben, durch den Raum zu gehen, stellt die Kundin endlich ihre Sporttasche ab. Da horcht sie plötzlich auf. « He, warten Sie1 », kommt es aus ihrem Mund. Natürlich warte ich - ich kann doch eine Kundin nicht einfach in einem summenden Apartment lassen! Sie hat beide Handflächen in einer Abwehrhaltung in der Luft positioniert, als hätte sie Angst ich könnte davonlaufen und sie in ihrer Misère lassen. Ich warte, schaue in ihre, weit aufgerissenen Augen. Ihr Mann steht übrigens, wenig begeistert von der Suche nach der Herkunft des Summens, am anderen Ende des Raumes. Leicht ungeduldig zieht er den rechten Mundwinkel hoch. Ich warte weiterhin. Schweigend. Die Kundin steht wie erstarrt vor der Eingangstür, lässt nur ihren Blick durch den Raum gleiten. « Das Summen ist jetzt leiser. » Ist es das? « Finde ich nicht. », erwidere ich. « Doch, doch. », widerspricht sie mir. Ihr Mann zuckt die Schultern. « Es ist leiser, seitdem ich... seitdem ich die Tasche... die Tasche ! » Mit einer hastigen Bewegung, zieht sie den Reißverschluss der Sporttasche auf. Und da haben wir es endlich vor Augen, das summende Monster : Es ist ihre elektrische Zahnbürste. Da entkommt sogar ihrem ernsten Mann ein Lacher. Welch' ein Glück für die Kundin, dass sie sich höflich beschwert hat – ansonsten hätte sie sich in diesem Fall wohl tatsächlich geschämt – und das auch noch zu Recht!


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