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Tharina in der Stadt der Liebe

Da kam vor Kurzem wieder die Frage nach einer Liebesgeschichte. Wenn schon nicht als Buch, dann doch zumindest als Blogeintrag! Das sei doch sowas Schönes, vor allem in schrecklichen Zeiten wie diesen. Hervorragend zum Herbst würde es außerdem passen.

Kurz darauf fiel mir tatsächlich eine seltsame Begebenheit ein. Ob diese nach einer schönen Liebesgeschichte klingen wird, kann ich im Voraus noch nicht sagen. Ich schlage vor du begibst dich in den Raum, indem du den heulenden Wind am besten hörst, wenn möglich mit Kuscheldecke oder Kamin. Bereit? Dann los:

Du erinnerst dich vielleicht daran, dass ich einige Jahre in Paris gelebt habe. Anfangs, vor etwa sechs Jahren hauste ich in einer von mehreren heruntergekommenen WGs. Heruntergekommen gleich bröckelndem Verputz, Kabel teils im Haus und teils im Freien, weiß-grauen Staubdecken, vollgepinkelten Klobrillen und Katzenklos. Zur Freude aller Bewohner konnte man im Gang mit etwas Glück auf schwankende Alkoholiker oder gesuchte Verbrecher treffen. Und wenn der Vermieter ab sieben Uhr morgens auf die Tür des Nachbarn einhämmerte als wollte er sie einschlagen, konnte das nur eines bedeuten: Letzterer hatte wohl seit einigen Monaten oder vielleicht auch Jahren darauf vergessen seine Miete zu bezahlen. Kann passieren.

Gut erkannt: An meiner Zeit in der Stadt der Liebe war so gut wie gar nichts romantisch. Außer vielleicht den kurzen Momenten, in denen mir der abgedrehte Typ aus der Wohnung im zweiten Stock über den Weg lief. Meine Mitbewohnerin war zwar überzeugt davon dieser wäre verrückt – ich hatte allerdings schon vor dieser Behauptung beschlossen, mir selbst ein Bild von ihm zu machen. Das war gar nicht so einfach, da er nur selten zuhause – und dann meist gleich wieder weg war. Sicher war allerdings, schon seit dem ersten Mal, als ich ihn auf der staubigen Holztreppe habe sitzen sehen, dass er mich irgendwie nervös machte. Anders als der Alkoholiker im Gang – nervös auf eine gute Art. Manchmal ließ ich beim Zähneputzen absichtlich die Badezimmertür offen, um mit ihm ins Gespräch zu kommen – zumindest soweit das mit Zahnbürste im Mund möglich war.

Ich teilte zwei winzige Zimmer mit einer Französin aus dem Norden und deren Katze. Wie ich, war sie zum Tanzen nach Paris gekommen. Die Französin. Die Katze hatte wohl keine Wahl. Allzu besonders schien es ihr nämlich nicht in unserer Bude zu gefallen – und vom Tanzen hielt sie auch nicht viel. Eines Abends kam meine Mitbewohnerin mit ihrem Laptop an. Sie hätte da ein tolles Online-Orakel gefunden, das seltsamerweise immer öfter die Wahrheit vorauszusagen schien. Und so jemand will eine andere Person als verrückt erklären! Anstatt ihr zu sagen, was ich von solcherlei abergläubischem Zeitvertreib halte, ließ ich mir das Prinzip zeigen: Man konzentriert sich in Gedanken auf eine Frage und klickt anschließend auf eine von mehreren virtuellen Karten. Die ausgesuchte Karte offenbart daraufhin eine Antwort. Ich weiß nicht wie ernst meine Mitbewohnerin dieses Orakel tatsächlich nahm – auf alle Fälle kam sie fortan jeden Abend an meine staubdurchtränke Schlafcouch, die an mehr oder weniger guten Tagen mehr oder weniger nach Katzenurin roch. Die Antworten des Orakels brachten uns oft zum Lachen. So hatte ich nichts dagegen einzuwenden.

Je mehr wir uns dem Ende des Jahres näherten, desto mehr Zeit verbrachte ich mit dem Typen aus dem zweiten Stock. Einmal begleitete er mich spontan zum Tanzen, ein andermal lud er mich dazu ein mit ihm auf den Markt im Norden der Stadt zu kommen. Letzterer war ein besonders romantischer Ausflug, da wir unter anderem an einer Massenschlägerei und einem Händler, der einen Dieb mit Gürtelhieben bestrafte, vorbeikamen. Genauso wie man sich das eben in Paris vorstellt.

Wir hatten zwar auch noch einige Monate nach dem Kennenlernen Verständigungsschwierigkeiten, was uns allerdings nicht davon abhielt mit- und über einander zu lachen. Erst hatte ich Angst, er könnte unsere Beziehung zu einander mit einer Freundschaft verwechseln. Dabei verhielten wir uns schon längst wie ein Paar – beispielsweise telefonierten wir jeden Abend vor dem Einschlafen mit einander. Doch bei all den seltsamen Beziehungen und Nicht-Beziehungen, die man heutzutage so um sich herum mitbekommt – wie soll man da denn noch wirklich wissen, woran man ist?

Eines Abends setzte sich wieder meine Mitbewohnerin an mein Sofa. Es war Zeit für das Online-Orakel. In Gedanken formulierte ich meine Frage, um anschließend auf eine der Karten zu klicken. Diese erklärte mir, ich solle mir keine Sorgen machen, da trotz meiner Zweifel mein Verhältnis zu einer gewissen Person zu einer sehr tiefen, innigen Bindung werden würde. In dem Fall hoffte ich natürlich auf die Richtigkeit des Orakels. Meine Mitbewohnerin konnte zwar keine Gedanken lesen, sich meine Frage allerdings sehr gut vorstellen – sonst hätte sie bestimmt nicht so schrill aufgelacht.

Der Alltag nahm seinen Lauf – ich hatte immer noch den gleichen ungeliebten Job, verließ eines Tages die genauso ungeliebte WG, um in einer hygienischeren, aber genauso seltsamen zu landen. Den Typen aus der Wohnung im zweiten Stock traf ich immer noch. Nach Monaten kam es dann eines Tages doch tatsächlich zu unserem ersten Kuss, was mich die Ängste, er könnte mich für eine Freundin halten, doch vergessen ließ.

Kurz darauf besuchte ich meine mittlerweile ehemalige Mitbewohnerin in der verlausten WG. Wie das so üblich war, zückte sie ihren Laptop, um das Orakel aufzuschlagen. Sie wollte wissen, ob ich mit diesem Typen genauso viel Pech haben würde wie üblich. Was dann passierte, kannst du natürlich gerne für eine Erfindung halten – ich weiß allerdings ganz genau, dass es das nicht ist: Der Link des Online-Orakels funktionierte nicht mehr. Ich erinnere mich noch genau an den erschrockenen Blick meiner ehemaligen Mitbewohnerin, die das gewiss als schlechtes Omen deutete. Natürlich hätte man es auch als das Gegenteil deuten können. Ich deutete gar nichts. Und der Typ aus der Wohnung im zweiten Stock (der dort schon längst nicht mehr wohnt), deutet mir gerade ins Esszimmer zu kommen.


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