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Tharina meldet sich zurück aus dem Urlaub.

Ich sollte mal wieder. Ein Blogeintrag steht an, nachdem ich im Urlaub so gut wie nichts geschrieben habe. Nicht einmal im Flugzeug, obwohl ich mir das vorgenommen hatte. Leider schläfern mich Flüge ein. Wenn die nette Frau mit dem Keks vorbeikommt, öffne ich natürlich gerne meine Augen im Halbschlaf. Vor allem den Mund, den noch ein bisschen weiter. Selbst im Zug von Paris in Richtung Süden habe ich nichts geschrieben, wenn ich mich nicht irre. Und da hätte ich doch wirklich Zeit gehabt. Ein paar dunkle Erinnerungen hab ich noch: Ich saß am Fenster und neben mir ein Typ, der sich fünf Stunden lang nicht vom Fleck bewegte. Zweimal musste ich den armen Kerl aus dem Schlaf rütteln. Sonst hätte meine Blase nicht mitgespielt. Mein Platz war entgegen der Fahrtrichtung, was mich beim Schreiben ziemlich gestört hat... Halt! Da haben wir's. Irgendetwas habe ich also doch geschrieben. Was damit passierte, kann ich im Nachhinein leider nicht mehr sagen.

Am späten Nachmittag verließ ich den klimatisierten Schnellzug. Überraschenderweise schlug mir eine enorme Hitze entgegen, wie ich sie nur im Hochsommer gewöhnt bin. Kennt ihr das, wenn euch aufgrund eines Temperaturunterschiedes schwindelig wird? Mit dem Tag darauf waren die Rekord Temperaturen dann auch schon vorbei. Seitdem herrscht angenehmes bis unangenehmes Herbstwetter. Gewohnheiten klopften an die Tür, Neuheiten auch. Zum Beispiel tanze ich jetzt wieder, nach einer dreijährigen Pause. Außerdem arbeite ich nur noch nachts. Deshalb sitze ich auch jetzt gerade hier, um vier Uhr früh. Das heißt – ihr konntet natürlich nicht wissen, dass das der Fall ist, aber ich erzähle es euch hiermit: Ich bin im sogenannten Back-Office, dem Büro hinter der Rezeption. In der Zeit, in der ich nichts besonderes zu tun habe, kann ich schreiben, was einer der Hauptgründe ist, weshalb ich diese Veränderung sehr begrüße. Das Back-Office ist so angelegt, dass ich ankommende Kunden sehen kann. Wer vor dem Tor steht, läutet und wer anruft... der ruft eben an. Hin und wieder stelle ich mir Wecker, um an wichtige Aufgaben zu denken. Wenn man vom Teufel spricht: Da läutet auch schon mein Handy, um mich daran zu erinnern die Croissants aus dem Ofen zu holen. Wer mag schon verbrannte Croissants?

Manchmal macht es mir Angst, das unbeleuchtete Restaurant zu durchqueren. Dabei muss man nämlich an der Glastür, die auf die Terrasse führt, vorbei. Vor allem kurz nach meiner Anstellung ging dabei manchmal meine Phantasie mit mir durch. Ich stellte mir plötzlich auftauchende Gesichter vor, die mich durch die Scheibe anschauen könnten: Fratzen mit großen Fleischmessern, oder – zu einer Zeit als als Clowns verkleidete Jugendliche für mehrere Überfälle in der Region verantwortlich waren – böse Clowngesichter. Manchmal kommen mir solche Gedanken auch jetzt noch, aber dann schiebe ich sie schnell zur Seite. Vielleicht ist das normal, wenn man mehrere Stunden lang mehr oder weniger alleine in einem so großen Gebäude verbringt. Wenn sich tatsächlich manchmal etwas auf der Terrasse bewegt, ist es der Wind, eine streunende Katze oder der Security, der auf einen Kaffee vorbeikommt.

Ich gehe aus der Küche zurück an die Rezeption. Schön langsam sollte ich meine letzten Statistiken ausfüllen, da das Frühstücksbuffet bald angerichtet werden muss. Ich begrüße einen Kunden. Dieser scheint mich nicht zu hören. Ohne den Blick zu heben, geht er weiter in Richtung des Ganges, der zu den Zimmern führt. Verständlich, bei der beeindruckenden Schönheit des Teppichbodens aus den 80igern. Schulterzuckend beginne ich damit eine Reihe hoher Beträge in eine Excel-Tabelle einzutragen. Einnahmen. Verkaufte Zimmer. Viele kleine Ziffern in fast genauso kleinen Feldern. Nichts Berauschendes – vor allem, da diese Beträge niemals auf unsereinem Konto landen werden. Quietschend öffnet sich die Durchgangstür zwischen Vorraum und Gang. Da kommt der Kunde, der mich vorhin nicht gegrüßt hat an getrottet. Es ist ein junger Mann, wahrscheinlich um einiges jünger als ich selbst. Sein blondes, kinnlanges Haar hat er hinter den Ohren verstaut und mit einer Kappe bedeckt. Sein Hemd ist blau. Zwei Knöpfe in Bauchnabelhöhe stehen offen. Der Kunde schwankt leicht. Als er an der Rezeption ankommt, stemmt er sich an ihr ab. Mit Mühe hebt er seine rechte Hand, in der er einen Autoschlüssel hält. "Wo... wo ist denn mein... mein Zimmer?", fragt er lallend. Sobald der Mund offen steht, hüllt uns ein unangenehmer Alkoholgeruch ein. "Das ist doch Ihr Autoschlüssel, Monsieur. Damit können Sie kein Zimmer aufsperren!", erkläre ich ihm lachend. "Und wo ist dann mein... Zimmer?" Er buchstabiert mir seinen Nachnamen, allerdings gibt es keine dazugehörige Reservierung. "Sind Sie sicher? Meine Mutter hat gesagt, dass sie reserviert und sogar schon bezahlt hat.", hakt er nach. "Und der Vorname C-H-R-I-S-T-I-A-N.", buchstabiert er weiter. "Christian", wiederhole ich leicht belustigt. Dabei tippe ich wieder auf ein paar Tasten. "Nein, ich habe leider trotzdem keine Reservierung unter Ihrem Namen. Vielleicht ist Ihr Zimmer im Hotel nebenan." Ich logge mich an einem anderen Computer ein. Das billigere der beiden Hotels ist nachts geschlossen. Falls nötig, sind wir für die Kunden da. Ich, in diesem Fall. Auch im Hotel nebenan gibt es keine Reservierung für den jungen Mann. "Wahrscheinlich hat Ihre Mutter wo anders für Sie gebucht. Wenn Sie wollen, kann ich ein paar Kollegen anrufen, deren Hotels in der Nacht geöffnet sind. Aber sagen Sie mal - Sie sind doch nicht mit dem Auto hierher gekommen?" Er schüttelt den Kopf, was ihn wieder leicht ins Schwanken bringt. "Ich bin die ganze Nacht marschiert... ich bin so müde!" "Wollen Sie sich vielleicht kurz setzen?" Dankbar nickt er, lässt sich auf den Sessel gegenüber der Rezeption fallen. "Sie sind nicht sonderlich in Form, oder? Wollen Sie vielleicht ein Glas Wasser?" Wieder nickt er, energisch, anscheinend voller Freude. Obwohl ich mittlerweile ein wenig an seiner Geschichte zweifle, rufe ich ein paar Hotels in der Umgebung an. Niemand hat seine Reservierung. "Ein Hotel fällt mir noch ein, das nachts aber zu hat... Sie könnten dorthin und auf den Hilfeknopf drücken, damit die Chefs aufwachen. Die geben Ihnen dann Ihr Zimmer."

Der junge Mann erhebt sich schwerfällig aus dem Sessel und torkelt auf die Rezeption zu. "Ich gebe Ihnen alles was ich habe für ein Zimmer." Er legt seinen Autoschlüssel, zusammen mit einem Päckchen Tabak und einer Zwei-Euro-Münze auf den Tresen. "Das geht so leider nicht... Außerdem habe ich bereits alle Zimmer vermietet." "Alle Zimmer vermietet? Aber wo soll ich denn dann hin?" "Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Aber hier können Sie nicht bleiben. Warum rufen Sie denn nicht Ihre Mutter an und fragen wo sie reserviert hat?" "Um die Zeit?" "Na ja – im Notfall..." "Sagen Sie mir doch, wo ich hin soll! Sie wollen mich hier nicht – die Sozialhilfe will mich nicht... Wo soll ich denn bitte schlafen?" "Das weiß ich nicht. Aber hier können Sie nicht bleiben. In den Zimmern ist ja schon überall jemand und in der Halle darf ich Sie nicht schlafen lassen. In ein paar Stunden kommt meine Chefin – was denken Sie, was die mir erzählt, wenn hier jemand auf den Sesseln übernachtet! Aber, sagen Sie – wieso gehen Sie denn nicht einfach zurück zu Ihrem Auto? Da drin ist es sicher gemütlicher, als im Freien." Der junge Mann scheint nichts von dieser Idee zu halten – zumindest reagiert er nicht darauf. Stattdessen dreht er sich um und schwankt in Richtung Ausgangstür. "Ich will natürlich nicht, dass Sie Probleme bekommen.", nuschelt er. Auf halbem Weg dreht er sich mit einer theatralischen Bewegung um und sagt mit erhobenem Zeigefinger: "Sie wissen aber schon, wie viele Menschen draußen erfrieren, jeden Tag! Das möchte ich Ihnen nur gesagt haben!" Beleidigt dreht er sich um. Es ist ja nicht so, dass ich ihm nicht helfen will aber... "Erfrieren? Es hat zwanzig Grad." Doch das hört der gute Mann nicht mehr, denn er ist bereits durch die automaische Tür verschwunden.

Nun kann ich mich meiner Tabelle widmen, die schon ungeduldig auf ihre Ziffern wartet. Aus dem Augenwinkel schaue ich zum Bildschirm, der mehrere Aufnahmen der Überwachungskameras zeigt. In Gedanken bereite ich mich darauf vor das Tor zu öffnen, sobald der junge Mann davor ankommt. Ein paar Ziffern, ein Blick auf die Kameras. Wieder ein paar Ziffern, wieder ein Blick auf die Kameras ... Im Hotel nebenan ist ein Kunde dabei sein Auto einzuladen. Anscheinend hat er die verriegelte Tür auf geklemmt, um den Eingangscode nicht ständig eintippen zu müssen. Das stellt sich als keine besonders gute Idee heraus, denn so kommt unser betrunkener Freund in die Empfangshalle. Er scheint nichts von meiner Idee, das Gelände zu verlassen, zu halten. Oder ihm ist so schwindelig, dass er aus Versehen in die falsche Richtung gestolpert ist... Nein, nicht realistisch. Da er schön langsam beginnt mich zu nerven, rufe ich den Sicherheitsdienst an. "... er ist nicht aggressiv oder irgendwas, aber sehr betrunken und er versteht einfach nicht, dass er hier nicht bleiben kann..." Während ich auf die Securities warte, beobachte ich den jungen Mann dabei, wie er versucht Zimmertür für Zimmertür des anderen Hotels zu öffnen. Ich hoffe stark, dass die zuständige Person alle Türen kontrolliert hat, damit sich keine ohne Code aufdrücken lässt. Die Vorstellung er könnte ein belegtes Zimmer betreten, macht mich nervös.

Glücklicherweise verschwindet er jedoch schon bald in den Toiletten. Da läutet auch schon der Sicherheitsdienst am Tor. Ich erkläre den Securities kurz was passiert ist und wo sich der Gesuchte aufhält. "Wenn er will, kann ich ihm ja eine Decke geben, dann schaut einfach nachher kurz vorbei..." "Ja, ja, wir regeln das alles schon.", unterbricht mich mein Gegenüber. Dann verlassen die beiden das Hotel. Ich beobachte am Bildschirm, wie sie im Eingangsbereich des anderen Gebäudes ankommen, einige Worte mit dem jungen Mann wechseln und ihn danach zum Tor begleiten. Ich öffne dieses, sie warten bis es vollständig zu geht. Dann kommen sie zurück an die Rezeption, um einen kurzen schriftlichen Bericht in ihrem Mitteilungsheftchen zu hinterlassen. Normalerweise schreiben sie immer nur "Agent 357, Generalrunde ok.", rein. Heute brauchen sie ein paar Zeilen mehr für ihren Bericht. "Was hast du denn vorher wegen der Decke gemeint?", fragt der Security, der nicht schreibt. "Du kannst doch einem Penner keine Decke schenken!" "Wieso denn nicht? Du weißt ja gar nicht wie viele Decken wir hier haben... Das wäre gar nicht aufgefallen – und selbst wenn... Ich krieg doch keinen ernsthaften Stress, wenn ich einem Obdachlosen eine Decke schenke." Die beiden beginnen zu lachen. "Vielleicht das nicht – aber dann kommt der Typ doch ständig wieder!" "...und außerdem erzählt er dann all seinen Pennerkumpels, dass es hier gratis Decken gibt.", ergänzt der andere mit einem spöttischen Lächeln. Irgendwie komme ich mir richtig blöd vor. "Ach ja, daran habe ich gar nicht gedacht..." Ich senke meinen Blick, da ich merke, dass ich dabei bin zu erröten. Ich hoffe, dass die beiden das aufgrund des künstlichen Lichtes nicht merken. Seltsam, diese Welt, in der man sich für seine Freundlichkeit schämen muss.


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