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Das Experiment

Eigentlich begann es schon vor über zwei Jahren. Wahrscheinlich hing das damit zusammen, dass wir umgezogen waren, weg aus der Großstadt. Die ständige Reizüberflutung hatte nachgelassen und so konnten wir in Ruhe unseren Gedanken nachgehen, begleitet vom Zwitschern der Vögel. Mit einem Mal ekelte es mir vor Fleisch. Ich konnte den Geruch nicht mehr ertragen, das seltsame Gefühl ein einst lebendiges Wesen zu zerschneiden. Das kaum hörbare, dabei entstehende Geräusch. Den Gedanken an Schlachthäuser, Massentierhaltungen. Also beschloss ich zwar noch Fisch, erst einmal aber kein Fleisch mehr zu essen. Quasi als Vorstufe zum tatsächlichen Vegetarier-Dasein.

Da ich mir über dieses Thema den Kopf zerbrach, begann ich mit den verschiedensten Leuten darüber zu diskutieren. Das entpuppte sich oft als anstrengend. Die Mehrheit der Menschen ist nämlich der Ansicht, dass Leute, die sich überhaupt erst Gedanken darüber machen kein Fleisch zu essen, ein wenig gefühlsduselig seien. Dann hörte ich auch oft dieses Gerede über die Nahrungskette und, dass der Mensch aus irgendeinem Grund über den anderen Lebewesen stünde, die schließlich auch jagen, um zu überleben. Denn das wäre doch immer so gewesen und würde deshalb auch so bleiben. Dass etwas "immer schon so" war, ist natürlich ein ausgezeichnetes Argument. Zumindest, wenn es in die Richtung unserer Bequemlichkeit geht. Da Strom, Smartphones und Autos das tun, ist es natürlich weniger wichtig, ob der Mensch diese schon immer benutzte oder eher nicht. Kommen wir zu "Jagen oder nicht jagen": Ein Jäger, der, wie zur damaligen Zeit, stunden- oder tagelang durch Wälder irrt, um seine Familie zu ernähren, ist natürlich ein bisschen wie das Abbild unseres Alltags. Wir irren schließlich auch - von einem Kühlregal zum anderen - versuchen hartnäckig so genannte Promotionen zu ignorieren, geblendet von Rabatt-Schildern erkennen wir keinen Unterschied zwischen dem neugeborenen Lamm und dem edlen Ross. Alles oval und rötlich, verpackt, damit die Finger sauber bleiben. Denn ein Tier quälen oder gar töten würden wir natürlich nie. Müssen wir auch nicht. Für die allgemeine Bequemlichkeit macht das jemand anders an unserer Stelle. Ich habe schon Schwierigkeiten damit, eine mich nervende Fliege zu erschlagen. Und genau deshalb ist das Tiere-essen ein Widerspruch, mit dem ich nicht leben kann.

Im Buddhismus ist das einfach: Es wird geraten nicht zu töten, was automatisch impliziert kein Fleisch und keinen Fisch zu essen. Um kein Leid zu verursachen. Aus Mitgefühl. Gefühlsduselei halt, wie schon oben erwähnt. Denn jemand, der nicht gefühlsduselig ist, hat natürlich kein Problem damit Videos von leidenden Tieren anzuschauen, vielleicht regt das sogar seinen Appetit an.

Dann kommt oft dieses Argument man könnte ja "gar nichts mehr tun", würde man sich mit allen Ungerechtigkeiten auf unserer Erde auseinandersetzen. Zum Beispiel könnte man keine Kleidung mehr kaufen. Und warum eigentlich sollten wir das tun, weiterhin Kleidung kaufen? Haben wir denn nicht mittlerweile genug in unseren Schränken? Ist es uns nicht eher peinlich, dreimal mit der gleichen Hose von den gleichen Leuten gesehen zu werden? Liegt das Problem dann nicht eher bei uns und diesen Leuten, die uns von oben bis unten beglotzen, als bei der scheinbar fehlenden Kleidung? Gibt es uns nicht ein seltsames Gefühl von Befriedigung, noch etwas zu haben, was wir eigentlich nicht brauchen? Unser hart erarbeitetes Geld, das wir lächelnd betrachten, als wäre es ein duftender Blumenstrauß – wertvoll muss es schließlich sein, denn wie gesagt: hart erarbeitet. Wo war ich? Unser hart erarbeitetes Geld gegen etwas einzutauschen, das wir eigentlich nicht brauchen, schließlich ist es ein gutes Angebot. Auf dem Schild stand -50%, nur, dass das Produkt für den Ausverkauf aus billigerem Material hergestellt wurde und so der 100%ige Preis niemals in Frage kam – denn das Produkt liegt erst im Laden, seitdem auch das Schild im Laden steht – darüber wollen wir uns lieber keine Gedanken machen. Oder darüber woher es kommt, um so billig sein zu können. Oder – falls es nun, ausnahmsweise tatsächlich das gleiche Produkt ist, das zuvor den 100%igen Preis ausmachte: Wie es sein kann, dass der Verkäufer auch beim 50%igen Preis keine Verluste macht. Welchen Gewinn er dann erst beim 100%igen Preis machen müsste bzw. eher welchen Verlust die herstellenden Hände. Würden wir uns Gedanken machen, könnten wir schließlich sonst nichts mehr machen.

Irgendwann aß ich dann doch wieder ab und zu Fleisch, nur Hühnchen, denn das aß ich auch zuvor besonders gerne. Und ganz selten, wirklich nur als Ausnahme, denn das eigentliche Problem ist schließlich die Überproduktion, der Überkonsum, die Massentierhaltung. Also hin und wieder ein bisschen Fleisch, das kann doch wohl nicht das Ende der Welt bedeuten! Bequemlichkeit. Widerspruch. Ich gestehe offen im Internet vor der ganzen Welt, genauso bequem zu sein wie alle anderen. Genauso widersprüchlich. Genauso mitschuld. Ich habe ein Smartphone vor mir liegen, von dem ich weiß, dass es einen Stoff in sich trägt, den Menschen, auch Kinder, stundenlang, zu unzumutbaren Bedingungen aus Erdlöchern schaufeln. Teils mit bloßen Händen, zu einem Hungerlohn. Es ist immer leicht Ausreden zu suchen, es zum Beispiel auf die Konzerne zu schieben, die doch eigentlich von unserem Geld leben. Auch ein Hungerlohn, im Vergleich zu dem, was wir schließlich alles brauchen : Kleidung, die wir schon haben, ein zweites Auto, weil wir schließlich zu zweit sind, einen zweiten Fernseher, weil wir uns nicht auf ein Programm einigen können, eine größere Wohnung, weil wir uns sonst in die Haare kriegen.

In den letzten Wochen oder gar Monaten fing ich aufs Neue an über diese ganze Fleisch-Geschichte nachzudenken. Ich war enttäuscht von mir selbst, ich hatte versagt, der Bequemlichkeit nachgegeben. Oft kommen mir solche Gedanken im Halbschlaf, Gedankenflashes, die mir ein mulmiges Gefühl verursachen. Da dachte ich mir vor kurzem "Meine Gedanken, Überzeugungen und Worte sind keine Taten, sondern eben nur leere Worte." Ich war dabei einzunicken und hörte durch das Fenster wie mein Freund mit einem Kumpel sprach, der sein Leben nicht so recht auf die Reihe brachte. "... so etwas wie Versagen gibt es eigentlich nicht... Das ist eher eine Erfindung. Es gibt nur Situationen, die auf verschiedene Art und Weise ausgehen."

Heute morgen schreckte ich aufgrund des Donners hoch. Ich kann Gewitter nicht ausstehen, es macht mir Angst. Während der Regen auf unser Schlafzimmerfenster klatschte, begann ich automatisch wieder zu grübeln. Ich ärgerte mich über mich selbst, mein Nicht-Handeln, meine leeren Worte. Doch gleichzeitig fiel mir auch der Satz meines Freundes ein. Und so beschloss ich es schlicht und einfach aufs Neue zu versuchen. Vegetarische Ernährung, weder Fisch noch Fleisch, seit heute morgen, um 8H00. Egal ob nun die Oma klagt, da ich "jo eh scho so dünn" sei, egal wie gut der Griller der Nachbarn duftet. Versuchungen gibt es schließlich immer, doch eben auch Konsequenzen. Auf dass die Situation diesmal anders ausgehe. Viele von euch leben bestimmt schon längst vegetarisch. Alle anderen lade ich herzlich dazu ein, mit aufs Boot zu springen. Nennen wir es #DasExperiment.


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